VUCA im Weinberg – leidvolle Erfahrungen als Winzer

Durch den Frost in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai, der ersten Nacht der Eisheiligen, hatte ich auf meinem kleinen Weinberg einen Verlust von über 80%. Noch am Vortag standen die Reben senkrecht, der Sonne entgegen – am Tag darauf ließen sie die Blätter hängen.

Da mein Kollege die Ergebnisse meiner ersten Gehversuche als Winzer vor Jahren gönnerhaft als „durchaus trinkbar“ bezeichnet hatte, wollte ich die Freiräume, die sich mir im April boten, mit besonderem Ehrgeiz dem Weinbau widmen. Und jetzt waren die Trauben erfroren und die im Anschluss nachgewachsenen Triebe, die zweite und dritte Generation Trauben, mussten reduziert werden, um Krankheiten vorzubeugen. Die ohnehin bescheidene Lese wird aufwändiger.

Eiskalte Überraschung

Pünktlich und wie aus dem Lehrbuch – so kamen die Eisheiligen 2020 in Bayern daher. Die Temperaturen hatten sich seit einem sonnigen Sonntag mit teils 25 Grad zum Montag, den 11. Mai, dem Tag des Heiligen Mamertus, halbiert. In Franken waren sie am Vormittag bereits einstellig.

Sie heißen Mamertus, Pankratius, Servatius, Bonifatius und Sophia und sind Priester oder Märtyrer. Häufig ist auch die Rede von den "gestrengen Herren" und der "kalten Sophie". An ihren Namenstagen erwarten wir jedes Jahr die frostige Wetterlage der Eisheiligen. Hält der Frost nur kurz an, ist das nicht so schlimm. Sind die Früchte aber mehrere Stunden lang Minusgraden ausgesetzt, kann ein großer Schaden entstehen. Durch den Klimawandel werden wir in Zukunft einen früheren Pflanzen-Austrieb, gleichzeitig aber auch häufiger noch spät im Frühjahr intensiven Frost bekommen.

Was tun? Welche Gegenmaßnahmen kann ich ergreifen?

Ich kann versuchen, die Reben nachts mit Wärme vor dem Frost zu schützen. Das geht z. B. mit Weinbergskerzen – für einen Hektar bräuchte man etwa 400 Kerzen –, mit kleinen Heizöfen, bestehend aus Eimern mit Wachs und Kerzendocht, oder auch durch Hubschraubereinsatz, der wärmere Luftschichten nach unten drückt. Wenn die Winzer sich zusammentun und unterstützen, lässt sich all das leichter realisieren.

Ist der Schaden da, kann eine Frost- und Hagelversicherung greifen. Sie gibt es übrigens erst seit einigen Jahren, nachdem die Winzer 2011 noch Soforthilfe-Unterstützung vom Staat erhielten. Wie ich realisiere, haben allerdings noch immer viele professionelle Winzer keine Versicherung und vertrauen eher auf Glaube, Liebe, Hoffnung.

Fürs Wirtschaftsleben lernen

„Man muss Gott für alles danken, vor allem für den Wein aus Franken.“ Ich musste schmunzeln, als ich dieses Buchcover sah. Mein persönlicher Beitrag zu dessen Ruhm wird in 2020 ein ganz besonders bescheidener sein. Die Winzerei ist für mich ein Hobby und eine Herzensanagelegenheit. Umso frustrierender, wenn der Frost viele Stunden Handarbeit in einer Nacht wegrasiert.

Als Coach, der viel in Unternehmen unterwegs ist, sehe ich natürlich die Parallelen. Auch unser Wirtschaftsleben ist gekennzeichnet von Dynamik, Wechselwirkungen und Disruption. Längst hat sich dafür der Begriff VUCA etabliert, einem Akronym aus den Begriffen Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität. Immer häufiger sind Sie mit unklaren Ursache-Wirkungs-Beziehungen konfrontiert.

Entscheiden und handeln wie ein Winzer

In einer VUCA-Welt als Führungskraft zu gestalten und Impulse zu setzen, hat ebenfalls viel mit Weinbau zu tun. Ich muss auch hier sehr aufmerksam sein und beobachten, was das Wetter (das Umfeld) auslöst. Ich muss überlegen, wie ich gegensteuern kann, ob ich wässern oder mähen muss, und ich muss rechtzeitig Vorsichtsmaßnahmen wie den erwähnten Schutz gegen den Frost ergreifen. Kooperation und Kollaboration sind dabei sehr wichtig. Mit Delete, Escape und Reset ist es leider nicht getan.

Das Mehr an Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit verlangt von Ihnen und Ihrem Unternehmen, sich anders auszurichten. Sorgen Sie mit neuem Führungsverhalten unter den veränderten Bedingungen für gute Ergebnisse. Denn als Führungskraft entscheiden Sie ganz wesentlich über den Umgang mit den Rahmenbedingungen, die Ihre Organisation beeinflussen.

  • Tasten Sie sich mittels „trial and error“ voran.
  • Fassen Sie Rückschläge nicht als Scheitern auf, sondern begreifen sie als Chance, einen neuen, besseren Weg zu finden.
  • Stellen Sie Hypothesen auf, experimentieren Sie und lernen Sie aus den Rückmeldungen.
  • Setzen Sie auf Kooperation und Kollaboration.
  • Seien Sie auch offen für neue Möglichkeiten, die aus der Situation entstehen können, bis hin zu zusätzlichen Geschäftsmodellen.