„Und die Moral von der Geschicht…“

Corona und kein Ende … die aktuelle Situation erinnert wieder einmal daran, wie wichtig es ist, moralische Leitplanken unseres Miteinanders zu beachten: gegenseitige Rücksicht, Verständnis füreinander, Konsequenzen für andere und für die Allgemeinheit bedenken. Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die ich vor einigen Jahren in einer Schweizer Sonntagszeitung gelesen habe.

Auf einem Symposium zum Thema Wirtschaftsethik trat eine Wissenschaftlerin auf, der man gebannt zuhörte, denn sie zog ihr Publikum in eine Geschichte hinein – einfach und kurz, aber prägnant. Mit ein paar Worten erklärte sie, was Ethik ist. Es ging um ein Dorf mit 100 Bauern und einer Almwiese. Ihre Vereinbarung war, dass jeder täglich eine Kuh auf die Wiese schicken durfte. Das klappte lange Zeit sehr gut.

Die 101ste Kuh

Doch eines Tages bemerkte ein Bauer, wie sein Nachbar zwei Kühe in die vorbeiziehende Herde schob. Er traut seinen Augen nicht, beobachtete dasselbe aber am nächsten Morgen wieder. Zuerst war er empört, doch dann dachte er, wenn dem das unbemerkt gelingt, kann ich es auch! So wurden es 102 Kühe, die sich das Futter auf der Almwiese teilten.

Andere Bauern waren ähnlich schlau. Die Herde auf der Weide wurde allmählich immer größer, bis das Gras knapp war und keine Kuh mehr genug zu fressen hatte. So brach schließlich das System zusammen – ein System, das auf Anständigkeit, Ehrlichkeit und Vertrauen aufgebaut war.

„Ethik“, so die Rednerin, „ist also ganz einfach: Es ist nicht die Menge der Kühe, die die Almwiese ruiniert, sondern die 101. Kuh. Ein Einzelner, der das System unterwandert, genügt, um es zusammenbrechen zu lassen“ (Beitrag aus der Sonntagszeitung Villmergen, CH, vom 23.12.2000).

Welche Werte haben gerade Konjunktur?

Wo halten wir unsere „Kühe“? Ist es uns egal, wenn die Wiese zerstört wird, weil wir uns Sonderregeln herausnehmen? Frei nach dem Motto, diese eine Kuh macht doch keinen Unterschied? In der gegenwärtigen Pandemie hat dieses Thema eine besondere Brisanz.

Die Corona-App ist nicht so wirksam wie es nötig wäre. Nur 60 Prozent der Nutzer tragen es ein, wenn sie positiv getestet wurden. Man lässt sich zwar gerne warnen, warnt aber leider selbst nicht zurück. Aus Datenschutzgründen verfügt die App, mit viel Aufwand und enormen Ressourcen entwickelt, über keine Standortdaten. Es bleibt jedem Einzelnen überlassen, ob er das einpflegt oder eben nicht. Aus Verantwortung und Rücksicht auf andere kann ich also sehr wohl andere warnen. Viele ignorieren es achselzuckend: Die „Mir wurscht!“-Haltung ist leider weit verbreitet.

Letztlich ist es wie bei jedem Appell oder jeder Maßnahme, die auf Freiwilligkeit beruht: Es klappt, wenn sich zumindest viele daran halten. Wenn nicht, braucht es wiederum strengere Regeln, die zu Lasten der Freiheit gehen. Und eigentlich ist das auch ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft, in der Teamdenken und vertrauensvolles Miteinander vorherrschen sollten.

Wie steht es um Ihre Almwiese, wer schickt die Kühe?

Checken Sie mal: Wie ist es denn in Ihrem Verantwortungsbereich? Halten sich alle an die Vereinbarungen, weil sie verstehen, dass sie die Voraussetzung für ein funktionierendes System sind? Oder braucht es mehr Regeln? Vielleicht gibt es die, aber sie müssen aktuell „nachgeschärft“ werden. Manche haben sich vielleicht auch überholt. Oder Sie wollen auf bestimmte Regeln demonstrativ verzichten: In welchen Bereichen, bei welchen Aufgaben könnten Sie den Kontrollregler herunterfahren zu Gunsten von mehr Vertrauen und Eigenverantwortung?

Häufig zeigt so ein Check Möglichkeiten auf, sich von aufwändigen, teilweise teuren Kontrollmechanismen zu verabschieden. MitarbeiterInnen können sich in letzter Konsequenz nur als vertrauenswürdig erweisen, wenn sie ihnen einen Vertrauensvorschuss geben.

Gerade Führungskräfte haben mit ihrer Vorbildfunktion eine enorme Verantwortung und Strahlkraft. Sich seiner eigenen innersten Motive und Überzeugungen bewusst zu sein, hilft enorm als Kompass bei Entscheidungen, sowohl auf der strategischen als auch auf der operativen Ebene.

 


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