So kriegen wir den Gartenzaun gestrichen – Tom Sawyer als Motivationskünstler
Manipulation oder Motivation?
Ist das eine clevere Art, jemanden zu einer Aktion oder Verhaltensänderung zu bewegen oder ist das manipulativ? Auch wenn Tom Sawyers Methode sicherlich zweifelhaft ist – geht es uns nicht oft um eine Form der Einflussnahme, wenn wir andere zu etwas motivieren wollen oder müssen? Manche würden sich sonst gar nicht bewegen. Heiligt der Zweck nicht mit der größten Selbstverständlichkeit die Mittel?
Die Grenze zwischen Motivation und Manipulation muss jeder für sich selbst definieren. Das „Framing“, das Verpacken einer Botschaft gehört jedoch zur Grundausstattung einer erfolgreichen Führungskraft. Immer wieder muss ich mich fragen, wie ich mein Gegenüber motivieren kann, so dass es für die Botschaft empfänglich ist. Neben Toms Zaun fallen mir zwei weitere Bilder ein: Die Prinzessin und der Drache.
Für die Prinzessin schwingen wir uns zu Höchstleistungen auf!
Mit einer „Prinzessin“ kann ich die Motivation positiv befeuern. Eine „Prinzessin“ ist ein attraktives Ziel: vielleicht ein Bonus, Aufstiegschancen, Ruhm und Sichtbarkeit, oder auch ein neuer Kunde oder eine bessere Technologie. Indem ich diese Vision immer wieder aufrufe, sie verlockend und detailreich beschreibe, stoße ich den starken Wunsch an, die Prinzessin zu „erobern”.
Wichtig ist, dass ich in meiner Kommunikation klar und verständlich bin, um die Vision auch für andere greifbar zu machen. Zugleich muss ich inspirieren und aktivieren. Das schaffe ich z. B., indem ich die Zuversicht stärke, die Prinzessin tatsächlich erobern zu können. Und indem ich Zwischenerfolge feiere. So sehen wir buchstäblich, wie die Prinzessin näherkommt und uns zuwinkt!
Steht der Drache vor der Tür, braucht es Kampfgeist!
Es gibt allerdings Situationen, in denen die positive Aktivierung durch eine „Prinzessin“ nicht funktioniert. Dann geht es nicht um ein attraktives Ziel, sondern darum, gravierende Probleme zu lösen oder gar Katastrophen abzuwenden. Hier kann ich mir das Aktivierungspotenzial des Drachen zunutze machen: eine ernste Bedrohung oder Gefahr, die unter allen Umständen abgewendet werden muss.
Steht der Drache fauchend vor der Tür, hilft nichts: Wir müssen uns ihm stellen und kämpfen. Den Drachen heraufbeschwören heißt vor allem, die Dringlichkeit deutlich zu machen. Worum geht es, was haben wir zu erwarten? Je bildhafter ich das beschreiben kann, desto eher erreiche ich die Gefühle der anderen. So mobilisiere ich deren Selbsterhaltungstrieb und ihren Kampfgeist. Wichtig ist dabei die Bestimmtheit in allen Aussagen und die Einbeziehung aller Beteiligten. Denn nur im Team lässt sich der Drache besiegen. Zugleich muss ich Vertrauen und Zuversicht stärken. Ein bestimmtes „Wir schaffen das!“ ist eine gute Unterstützung, die mir hilft, das letzte Quäntchen Energie freizusetzen.
Wie überzeuge ich am besten?
Analysieren Sie die Situation. Können Sie Ihrem Team das Zaunstreichen schmackhaft machen? Flaniert die Prinzessin schon über den Hof und wartet auf Eroberung? Oder steht vielmehr der Drache vor der Tür und Ihr Team muss ihn besiegen? Wann reicht ein Appell im Stil von Kanzlerin Merkel („Es ist ernst, nehmen Sie es ernst!“), wann muss die Botschaft auch von klaren Konsequenzen flankiert werden?
Die ein oder andere Führungskraft war möglicherweise schon einmal überrascht, wie viel Energie, Zeit und Hirnschmalz notwendig war, um Mitarbeiter von etwas zu überzeugen. Da werden Gefahren seitens der MitarbeiterInnen aufgebauscht, die Bedenkenträger bekamen überhand und es gelang ihnen, auch bei den KollegInnen Zweifel zu säen, die man bereits im Boot wähnte.
Um Mitarbeiter zu überzeugen, ist ein offener, ehrlicher Austausch sicher nachhaltiger und empfehlenswerter als ein Basta-Führungsstil. Von Tom Sawyer können wir allerdings eine wichtige Lektion lernen. Denn ihm gelingt es sehr gut, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen. Wie müsste mir jemand die Aufgabe vermitteln, damit ich daran Gefallen fände?
Alleine das ist für viele Führungskräfte eine Herausforderung. Denn in der Regel haben sie einen anderen Blick auf die Situation, sind gedanklich mehrere Schritte voraus oder gar in einem anderen Projekt. Da heißt es sich selbst an die Nase zu fassen. Die eigene Ungeduld, manchmal auch der fehlende Wille oder das wenig ausgeprägte Vermögen zum Perspektivwechsel können Change-Projekte ebenso behindern wie das Beharrungsvermögen der Mitarbeiter.